Privatgutachten
Immer wieder kommt es vor, dass schon vor einem formellen Rechtsstreit (vom Bauherrn) ein so genanntes Privatgutachten in Auftrag gegeben wird.
Die Mehrzahl der Streitigkeiten auf dem Gebiet des Baurechts drehen sich um Baumängel. Ob ein Baumangel vorhanden ist oder nicht, welcher Art der Mangel ist oder wem er letztlich zuzurechnen ist - das alles sind Fragen, die erhebliche finanzielle Bedeutung haben können. Zur Klärung dieser Fragen werden regelmäßig Sachverständige eingesetzt, die Gutachten erstellen.
Dabei wird der Begriff „Privatgutachten“ häufig missverstanden. Keinesfalls handelt es sich um ein Gutachten minderer Qualität, denn häufig wird sogar ein vereidigter und öffentlich bestellter Gutachter der Industrie- und Handelskammer mit der Erstellung eines Privatgutachtens beauftragt. Einem solchen Experten fehlt es weder an Erfahrung noch an Sachverstand - der Unterschied ist lediglich, dass er hier in privatem und nicht in gerichtlichem Auftrag handelt.
Ist ein Privatgutachten immer ein Gefälligkeitsgutachten?
„Wes Brot ich ess, des Lied ich sing!“ - diese Redewendung mag sich aufdrängen, wenn man an ein privat in Auftrag gegebenes Sachverständigengutachten denkt. Deshalb ist auch so oft von einem „Gefälligkeitsgutachten“ die Rede - denn ist ein Privatgutachten nicht notwendigerweise parteiisch? Welcher Bauherr wird für ein Sachverständigengutachten bezahlen, das nicht die von ihm monierten Baumängel bescheinigt? In der Tat gibt es nicht wenige Gerichte, die einem Privatgutachten in der Regel keinen Beweiswert zusprechen und es deshalb für unbeachtlich halten. Aber diese pauschale Abwertung ist falsch - das hat der Bundesgerichtshof in einem jüngeren Urteil erneut unmissverständlich festgestellt (Aktenzeichen IV ZR 57/08).
Die höchstrichterliche Rechtsprechung verpflichtet jeden Richter, ein privat in Auftrag gegebenes Gutachten - erkennbar! - zu verwerten, wenn dessen Ergebnisse einem von Gericht bestellten Gutachten widersprechen. Es reicht nicht aus, wenn als Begründung zur Nichtbeachtung des Gegengutachtens behauptet wird, dass der gerichtlich bestellte Gutachter sich in der Vergangenheit stets als fachlich kompetent erwiesen habe.
Die Verwertung des Privatgutachtens muss auch im Urteil erkennbar sein.
Ein pauschaler Hinweis darauf, dass Erkenntnisse des Privatgutachtens in die Urteilsfindung mit eingeflossen sind, reicht keinesfalls aus. Das Gericht muss sich inhaltlich mit den Ergebnissen des Privatgutachtens auseinandersetzen und sogar - wenn dadurch Feststellungen des Gerichtsgutachtens zweifelhaft werden - ein weiteres Gutachten einholen (§ 412 ZPO).
Ein privat bestelltes Sachverständigengutachten lässt sich demnach sogar als Verteidigungsmittel einsetzen, um das Gericht zu einer erneuten Begutachtung zu veranlassen. Wertlos ist es in keinem Fall. Es darf auch vom Gericht nicht ignoriert werden, wenn es um die Prüfung eines streitentscheidenden Gesichtspunkts geht.
Der Nachteil eines Privatgutachtens liegt auf der Hand: die Kosten. Denn zunächst ist selbstverständlich der Auftraggeber für die Bezahlung des Sachverständigen verantwortlich, schließlich wurde ein gegenseitiger Vertrag geschlossen. Eine Erstattung der Kosten ist jedoch bei einer Niederlage vor Gericht unmöglich und selbst bei einem 100-prozentigen Sieg nur dann denkbar, wenn die Erstellung des privat in Auftrag gegebenen Sachverständigengutachtens „unabwendbar notwendig“ war. Eine Erstattungsfähigkeit beschränkt sich im Immobilienrecht folglich auf absolute Ausnahmefälle - der Auftraggeber bleibt in der Regel auf seinen Kosten sitzen.
Es ist also in erster Linie das Kostenrisiko, das das ansonsten recht nützliche Privatgutachten zur Feststellung von Baumängeln zu einer unsicheren Sache macht.
Zwei Ausnahmen gibt es jedoch: Zum einen die einvernehmliche (private) Beauftragung eines Sachverständigen, zum anderen die private Gutachtenerstellung als Verteidigungsmittel gegen ein vom Gericht in Auftrag gegebenes Sachverständigengutachten.
Wenn sich beide Parteien darauf einigen, ein Sachverständigengutachten zu erstellen, das von einem gemeinsam ausgewählten Gutachter angefertigt wird, sollte auf jeden Fall darauf geachtet werden, dass dessen Ergebnis für beide Seiten schon im Voraus als verbindlich anerkannt wird. Vor Gericht ist es dann kaum noch möglich, Beweisergebnisse dieses, von beiden Parteien in Auftrag gegebenen, Sachverständigengutachtens anzuzweifeln.
Entscheidet man sich für ein Privatgutachten, um Feststellungen eines gerichtlich in die Wege geleiteten Sachverständigengutachtens zu widerlegen, ist Folgendes wichtig: Man sollte von vornherein - schon durch die Auswahl des Gutachters und detaillierte Instruktionen - sichergehen, dass der Gutacher sein Ergebnis für das Gericht nachvollziehbar und auch in Fachfragen verständlich formuliert. Dadurch kann man sichergehen, dass auch das Gericht Zweifel über die Richtigkeit der bisher vorliegenden Gutachtenerkenntnisse bekommt.
Immer eine Überlegung wert: das selbständige Beweisverfahren
Mit der Einleitung eines selbständigen Beweisverfahrens lassen sich auf jeden Fall die Kosten für ein Privatgutachten sparen. Deshalb sollte dieses Verfahren stets in die strategischen Überlegungen beim Streit über Baumängel mit einbezogen werden. Beim selbständigen Beweisverfahren leitet das Gericht ein Sachverständigengutachten in die Wege, gegen dessen Beweisergebnisse in einem eventuell folgenden Prozess nur noch sehr schwer angegangen werden kann. Es entstehen hier zwar Anwalts- und Sachverständigen-, aber wenigstens keine Gerichtskosten.
Fazit: Den Sachverständigen möglichst gemeinsam bestimmen. Der Makel des Gefälligkeitsgutachtens ist beim privat in Auftrag gegebenen Sachverständigengutachten nie ganz wegzuwischen. Ein gemeinsam ausgewählter Gutachter ist in aller Regel die bessere Lösung - erspart dieser Weg doch Kosten und garantiert eine größere Rechtssicherheit. Vor allem für die Abfassung des Schiedsvertrags und die Auswahl des Gutachters sollte jedoch auf jeden Fall anwaltlicher Rat hinzugezogen werden.
Stand: 29.04.2012